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Was ist denn eigentlich Schmerz und was ist ein Schmerzgedächnis?
Zunächst einmal ist Schmerz – ähnlich wie Stress – etwas ganz Positives, auch wenn die meisten von Ihnen beim Lesen dieser Worte spontan heftig den Kopf schütteln wollen. Denn es zeigt, dass der Körper funktioniert. Schmerz hat nicht nur eine Warnfunktion (Vermeidung des schmerzauslösenden Reizes) sondern ist auch in der Heilungsphase von Bedeutung (Schonhaltung und Verhindern einer weiteren Gewebeschädigung).
Schmerz ist der Definition Manfred Zimmermanns (deutscher Schmerzforscher) nach ein Sinneserlebnis, „das durch tatsächliche oder drohende Verletzung ausgelöst wird, motorische und vegetative Schutzreaktionen hervorruft, zu erlernter Vermeidung führt und möglicherweise artspezifisches Verhalten ändert, einschließlich das Sozialverhalten“.
Chronische Schmerzen (länger als drei bis sechs Monate andauernd oder immer wiederkehrend) führen zu körperlichen Einschränkungen und beeinträchtigen das Befinden und die Stimmung – genau wie bei uns Menschen. Die körperliche und seelische Belastbarkeit unserer Haustiere ist vergleichbar eingeschränkt und in der Folge reduziert sich auch deren Leistungsfähigkeit.
Wird aus einem akuten Schmerz ein chronischer, verliert er seine Signalwirkung. Der Schmerz besteht dann losgelöst von der ursprünglichen Erkrankung und es entsteht ein Schmerzgedächtnis.
Das Schmerzgedächnis
Schmerzen beeinflussen die Aktivität der an der Schmerzweiterleitung und -wahrnehmung beteiligten Nerven. Starke, sich wiederholende oder chronische Schmerzen führen im Sinne eines negativen Lerneffektes zu einem „Erinnerungsbild“. Das kann sich so zeigen, dass sogar bei völlig fehlendem äußeren Reiz spontan Schmerzen auftreten bis hin zu starken Dauerschmerzen.
Unzureichend behandelte Schmerzen können also Spuren im Zentralnervensystem hinterlassen, die die Empfindlichkeit für Schmerzreize erhöhen und somit zu einer stärkeren Schmerzwahrnehmung führen.
Umso notwendiger ist es, dass Schmerzen frühzeitig erkannt und in der Konsequenz auch behandelt werden. Um an ein ausgeprägtes Schmerzgedächtnis heranzukommen, finden wir in der Physiotherapie und/oder Behandlungsmethoden der Physikalischen Therapie (wie z.B. Strom) eine adäquate Behandlungsmöglichkeit mit der das „Erinnerungsbild“ verändert werden kann. In manchen Fällen ist aber auch eine lang dauernden medikamentelle Therapie (mind. drei Monate) unbedingt notwendig, um den Schmerzzustand zu „durchbrechen“.
Da die Kommunikation von Schmerzen bei unseren Haustieren mitunter schwierig ist, ist es besonders wichtig, dass Sie wissen, wie unsere vierbeinigen Familienmitglieder Schmerzen zeigen.
Im 2. Teil der Reihe möchte ich Ihnen erst mal die hauptsächliche Verfasserin dieser Reihe vorstellen: meine liebe Kollegin Dr. Ann-Kristin Morys.
Frau Dr. Morys habe ich quasi von meinem Vorgänger „geerbt“ und bin sehr froh, dass sie geblieben ist. Ihre Fachrichtung ist, unterer anderem, die Orthopädie, und das ist sehr schön, denn: da bin ich eine ziemliche Niete. Während ich meistens nur sagen kann „ist kaputt“, sagt sie mir dann, was kaputt ist. Außerdem macht sie definitiv die schönsten Ortho-Röntgenbilder von uns allen, das muss man neidlos anerkennen.
Sie ist neben Tierärztin auch Tierphysiotherapeutin und Cranio-Sacral-Therapeutin, außerdem hat sie sich in den Bereichen Geriatrie (Probleme im Alter) und Demenzpatienten, Schmerztherapie, Kinesio-Taping, Blutegeltherapie, Dorntherapie und Sportphysiotherapie fortgebildet.
Seit fast 20 Jahren ist sie nun quasi ausschließlich in ihrem Fachgebiet unterwegs, 16 Jahre lang hat sie die physiotherapeutische Abteilung der Kleintierchirurgie der Uni Gießen geleitet, seit 6 Jahren ist sie Tutorin bei der ATM und 2x die Woche tut sie das, was sie am Besten kann, auch bei uns in der Praxis und ich freue mich sehr, dass wir sie haben.
Eine kleine Bemerkung am Rande: Frau Dr. Morys ist nicht nur für unsere eigenen Kund:innen da, sie behandelt auch „Fremdkund:innen“. Sollten Sie also im Laufe der Reihe denken „Oha..“, dann dürfen Sie gern dürfen Sie gern bei uns in der Praxis einen Termin ausmachen, auch wenn Sie bereits ein:e Haustierärzt:in haben.
Without further ado übergebe ich die Tastatur also an meine Lieblingsorthopädin!
Heute gibts Teil 1 unserer Kaninchen-Reihe und wir beginnen gleich mit einem der frustrierendsten Gesundheitsthemen überhaupt:
Oder warum eine Augenentzündung manchmal von einem Gebärmuttertumor kommt und was das Gebiss damit zu tun hat.
*hier bitte unheilvolle Musik einfügen*
Der Zahnapparat beim Kaninchen ist unheimlich empfindlich. Er ist darauf ausgelegt, dass Kaninchen ständig fressen und zwar bitteschön auch das Richtige, da nur bei Blättrigem (Gras, Kräuter, ..) die richtige Mahlbewegung ausgeführt wird. Kaninchenzähne wachsen nämlich ständig weiter und es ist ihnen dabei herzlich egal, ob das eigentlich gerade nötig ist – werden sie nicht brav abgerieben, drücken sie sich eben nach oben oder unten in den Kiefer hinein. Blöderweise ist da nur ein paar mm Platz, bevor es Probleme gibt.
Nach unten ist irgendwann einfach Ende, sie brechen durch den Kiefer und dann ist da plötzlich eine Beule zu spüren, die manchmal hart wie Knochen ist. Solche Zähne können nicht mehr gerettet werden, man muss sie ziehen und die Beule entleeren.
Nach oben wird es komplizierter. Für den ersten Backenzahn und die Schneidezähne kommt erst mal der Tränen-Nasen-Kanal, über diesen läuft die Tränenflüssigkeit normalerweise ab. Drückt sich nun einer dieser Zähne nach oben, entsteht eine Engstelle, an der sich Sekret sammelt und entzündet – das Kaninchen hat eine „Augenentzündung“ oder „Schnupfen“.
Regel Nummer 1: Jedes Kaninchen mit einem entzündeten Auge oder einer eitrig laufenden Nase hat bis zum Beweis des Gegenteils ein Zahnproblem!
Die hinteren Backenzähne sitzen direkt unter dem Auge und können dort zum „retrobulbären Abszess (=Entzündung hinter dem Auge) führen. Im schlimmsten Fall wachsen sie sogar in die Augenhöhle hinein. Siehe Regel Nummer 1!
Die Gründe für ein solches Überwachstum sind vielfältig.
Falsches Futter steht ganz oben auf dieser Liste, wenn es blöd läuft, reicht schon die Pelletfütterung beim Züchter aus um den Grundstein für spätere Probleme zu legen.
Auf Platz 2 stehen jegliche Art von Schmerzen und Unwohlsein – da sind wir wieder bei der oben genannten Gebärmutter. Eine entzündete Gebärmutter oder Tumore dort tun permanent weh. Das Kaninchen fühlt sich unwohl und frisst schlechter. Die Zähne wachsen und drücken auf den Tränen-Nasen-Kanal. Und als Konsequenz muss ich dann den Besitzern erklären, warum ich bei einer ollen Augenentzündung gern mal ein Röntgenbild oder Sono vom Bauch machen würde 😉
Eine weitere häufige Ursache von Schmerzen, insbesondere bei Widderkaninchen, ist eine Entzündung der Ohren, die man oft nicht von außen und nur bedingt im Röntgen sehen kann. Außerdem sind Rückenschmerzen durch Spondylosen, also Knochenausziehungen der Wirbelkörper, immer wieder ein Problem und auch Blasengries oder Blasensteine sehen wir häufig.
Das ist gar nicht so einfach. Der Blick ins Maul (NIEMALS Maulspreizer am wachen Tier, wir arbeiten ausschließlich mit dem Otoskop!) gibt Hinweise: Sind die Schneidezähne symmetrisch? Farbe? Rillen? Und die Backenzähne? Stehen sie in einer Reihe? Alle gleich hoch? Ist irgendwo Eiter im Maul? Gibt es größere Haken (kleine in Kaurichtung sind normal!)? Sind Zähne gekippt? Entzündungen sichtbar? Blutet was?
Ist da was auffällig, ist das in den allermeisten Fällen nur die Spitze des Eisbergs. Ist da alles unauffällig, heißt das aber nicht zwingend, dass alles ok ist, schließlich steckt der größte Teil des Zahns im Kiefer.
Also: röntgen. Besser wäre noch ein CT und noch besser ein DVT – aber davon träumen wir hier in der Gegend nur..
Meist sind mindestens 4 Aufnahmen nötig um beurteilen zu können, ob und was da faul ist – plus eine Ganzkörperaufnahme. Beim netten, ruhigen Langohr geht eine Übersichtsaufnahme zum Screening manchmal wach, meist legen wir die Kaninchen aber dazu schlafen und schließen die Zahnsanierung direkt hinten an, wenn nötig. Für diese Standard-Aufnahmen gibt es Hilfslinien (Böhmer-Crossley-Linien), die verraten, ob z.B. die Kauebene stimmt oder Zähne zu weit nach oben gewachsen sind.
Am schlafenden Kaninchen werden dann die Zähne sondiert, man schaut also nach lockeren Zähnen, Zahnfleischtaschen oder kommt mir irgendwo schon der Eiter entgegen.
Danach kommt, wenn nötig, der richtig ätzende Teil: Das Ziehen der Zähne, die nicht gerettet werden können. Warum ätzend? Das OP-Feld ist winzig. Bricht eine Wurzel ab, hat man manchmal keine Chance mehr sie zu bergen oder nur mit größter Mühe. Die Dinger sitzen oft bom-ben-fest, egal wie morsch sie eigentlich sind. Hinterher gibts deutlich häufiger Infektionen als bei Hund und Katze, weshalb wir immer eine Antibiose geben. Und wenn es richtig blöd läuft und man nicht jede einzelne Zelle des zahnbildenden Gewebes erwischt hat, bildet sich das Mistding einige Zeit später wieder nach und macht noch mehr Ärger!
Ist das geschafft, gehts ans Einschleifen. Die Haken müssen raus, die Kauebene muss wieder hergestellt werden und der Druck von allen Zähnen, deren Wurzeln im Röntgen auffällig waren. Millimeterarbeit in dem winzigen Maul.
Unbedingt ALLES optimieren, was geht. Veränderte Gebärmutter raus, Schmerzmittel für die Spondylosen oder die Ohren, Haltung und Fütterung optimieren. Und beten, egal zu wem Sie da Connections haben. Denn meist heißt es leider: einmal Zahni, immer Zahni. Also regelmäßige Kontrollen, eventuell regelmäßig nachschleifen. Auch als Besitzer kann man den Kiefer abtasten, ob irgendwo „Knubbel“ sind, außerdem raten wir zum Wiegen alle paar Tage um eine schleichende Gewichtsabnahme nicht zu verpassen.
Übrigens: die meisten Zahnpatienten werden mir zum Impfen vorgestellt – „aber der frisst doch ganz normal!“ ist leider ein GANZ schlechter Marker für Gesundheit beim Kaninchen. Wie sagte mal ein Prof so schön: „Wenns nicht frisst, stirbts. Also frissts halt.“
An diesem Punkt möchte ich gern schamlos etwas Werbung für 2 tolle Projekte einstreuen.
1. Eine der meiner Meinung nach derzeit besten Internetseiten für Kaninchen: kaninchenwiese.de. Besonders die Fütterungsinfos dort kann ich voll und ganz unterschreiben.
2. Meine liebe Kollegin Diana Ruf bietet Tierhalterseminare zu verschiedenen Themen an, unter anderem auch zu Fütterung und Zahngesundheit unter https://elopage.com/s/dianaruf . Die Seminare sind fundiert und trotzdem sehr kurzweilig, ich selber kenne ihre Tierärzte-Seminare, die ich wirklich klasse fand. Es gibt in ihrem Shop auch Gutscheine – nur, falls Sie noch Weihnachtsgeschenke suchen 😉
Die Fotos oben stammen übrigens von genau so einem Kaninchen, das mir zum Impfen vorgestellt wurde. Es hat KEIN primäres Schneidezahnproblem, sondern ein massives Backenzahnproblem, das dann erst viel später für eine schiefe Abnutzung der Schneidezähne sorgte. In den verkippten Aufnahmen sieht man gut, wie schief und krumm die Wurzeln durch den Druck von oben sind und dass sie kurz vor dem Durchbrechen des Kiefers stehen. Der arme Kerl ist übrigens nicht mal 4 Jahre alt.
Grund war hier wohl die Fehlfütterung des Vorbesitzers. Dieses Kaninchen wird leider nie wieder ganz gesund werden, wir können die Erkrankung nur noch in Schach halten. Wie lange? Ungewiss..